Julia Schäfer über Kerstin Flakes Serie Good Year / Bad Year
Reist man nach Amerika, fällt auf, dass es vielerorts heruntergekommen ist. Die Zustände sind desolat, hinter der Fassade bröckelt es gewaltig. Das künstlerische Territorium von Kerstin Flakes Serie Good Year / Bad Year liegt in Columbus und Detroit, Städte des sogenannten Rust Belt, Leerstand und Schrumpfung sind dort gegenwärtig.
In Leipzig und Umgebung ist Flake in den letzten fünfzehn Jahren ins Innere des Leerstands gegangen. Wir haben Fabriken und Wohnungen gesehen, deren Schichten und Geschichten die Bild-Bauerin mit vorgefundenem Material wiederbelebte. In den USA stülpt die Künstlerin dieses Verfahren nun nach außen. Die Straße wird zum Bühnenbild, zum Prospekt Amerika!
Flakes Bilder bleiben hängen. Es geht eine starke Faszination von ihnen aus, weil immer irgendetwas irritiert. Weil etwas im Bild nicht funktioniert oder Dinge Dinge tun, die für sie nicht vorgesehen sind. Sie verlieren ihre Schwerkraft, Schränke tanzen, Kassetten fliegen, Hausrat rückt aus! Im Das-kann-doch-nicht-sein-Moment bleiben wir im Bild länger hängen. Da schaut man zwei, drei Mal hin. Die Bilder sind von langer Hand geplant und aufwändig gebaut. Wir haben es mit dreidimensionalen Bühnen zu tun, die ihre Aufführung für die paar Sekunden der Belichtung proben. Die Künstlerin ist Regisseurin des Irritationsmoments. Wer Regie führt, hat eine Vision, der mag erzählen.
Im Plot der Bilder treffen wir auf starke Protagonisten, Persönlichkeiten mit Geschichte, die Position beziehen. Sie stehen in neuen Zusammenhängen, formieren sich zu Gruppen und Aussagen. Im Anschluss gehen sie um eine Erfahrung reifer wieder zurück an ihren angestammten Platz. Die Dinge nehmen ihre Position in Haltung und Würde ein, selten ohne Humor. Nie ist dieser platt. Eher würdevoll zwinkernd. Hier gibt der Humor der Irritation die Hand.
So arm die Gegenstände im Bild sind, in ihrer Inszenierung haben sie etwas Poetisches. Sie stehen nicht für das Amerika, das am Ende ist. Sie beschreiben einen Umstand, ohne selbigen zu beklagen. Die Art, wie sie sich zusammenfinden, hebt die Depression auf. Good Year / Bad Year! – Es hält sich die Waage. Leerstand, Verbretterung, das Bild einer blühenden Vergangenheit findet sich oftmals im Hintergrund, doch vorne: Bewegung, Formation, Demonstration, Narration. Leben. Weitergehen. Aufforderung! Leichtigkeit auf der Bühne der Schwere.
Und genau in dieser Waage pendelt es im Bild, aber auch aus dem Bild und den Serien heraus. Sie laden mich als Betrachterin ein, das Unmögliche zu sehen. Sie fordern dich auf, Selbiges zu tun. Da identifiziere ich mich mit der bewegten Lampe, der Geste der fliegenden Kassette, dem Chor der goldenen Stühle, dem tanzenden Sideboard.
Das Miteinander, um das es in der Arbeit der Künstlerin ganz zentral geht, findet seine Träger im Banalen des Alltags. Good Year – Bad Year!
Julia Schäfer, Kuratorin, über Kerstin Flakes Serie Good Year / Bad Year
Leipzig, November 2018