von Susanne Holschbach
Was würden die Dinge tun, wenn sie von ihrem Zuhanden-Sein für uns – die menschlichen Akteure – befreit wären? In welchen Posen und Handlungen würden sie sich fotografieren lassen, wenn eines von ihnen eine Kamera wäre? So könnte eine Interpretation des Settings von Shaking Surfaces lauten: Indem sie die Spuren ihres Eingreifens sorgfältig verwischt, verschafft uns die Künstlerin die verführerische Illusion, einem Schauspiel beizuwohnen, das eigentlich nicht für uns aufgeführt wird – oder doch?
Florian Ebner hat in Kerstin Flakes Inszenierungen eine Nähe zur „künstlerischen Rezeption spiritistischer Fotografie des ausgehenden 19. Jahrhunderts“ ausgemacht (1). Die historische Geisterfotografie wollte mittels der visuellen Evidenz übernatürliche Phänomene glaubhaft machen, wurde aber der Scharlatanerie verdächtig. Denjenigen, die nicht an Gespenster glauben oder Zweifel an der Beweiskraft des Fotografischen hegen, drängt sich die Frage nach der Entschlüsselung des Fakes geradezu auf. Wie hat sie das gemacht? – Das Staunen und die daraus resultierende Neugierde sind ein nicht unwesentlicher Aspekt der Faszination an den anarchischen Bildfindungen Flakes, die mit den visuellen Effekten von Momentaufnahme und Langzeitbelichtung spielen. Aber es sind auch die Protagonisten selbst, die Aufmerksamkeit verdienen. Unter den Gegenständen der Shaking Surfaces, die sich in einer Plattenbauwohnung vor einer rohen Betonwand zu gewagten „Equilibres“(2) auftürmen oder sich gar selbsttätig in Bewegung zu versetzen scheinen, erkennt man mehrere Relikte aus dem Analogzeitalter: etwa eine ‚antike’ Kleinbildkamera balancierend auf einem Luftballon, einen surrenden Super-8-Apparat auf einem 50er Jahre Resopaltisch, Planfilmkassetten einer Großformatkamera im Pas de deux mit einer Schwarzglas Keramik Vase aus DDR-Zeiten. Sind sie Widergänger einer medialen Vorzeit, die den Aufstand gegen ihr Verschwinden proben? Oder werden sie als Garanten dafür aufgerufen, dass wir Fotografien betrachten, die dem Paradigma des Analogen(3) angehören, und nicht etwa Fabrikationen einer ausgeklügelten Postproduktion
sind?
In den medialen und modernistischen Referenzen, die die Auswahl des Ortes und der Protagonisten eröffnen, erweist sich, dass der Humor von Flakes Inszenierungen alles andere als oberflächlich ist. Sie (die Inszenierungen) bezeugen eindrücklich das „fotografische Leben der Dinge“, von dem der Fotohistoriker Michel Frizot(4) spricht. Frizot bezieht seine These zwar auf die klassische Objektaufnahme, aber ist es nicht gerade das freie Spiel der Dinge, das diese Dimension auf besonders sinnfällige Weise ins Werk setzt?
Susanne Holschbach
(1) Florian Ebner: Aufruhr im Interieur, in: Kerstin Flake. Turbulenzen, Lubok Verlag, Leipzig 2009, S. 5-7. Ebner verweist auf Arbeiten von Johanes Brus, Sigmar Polke und das Werk von Bernhard und Anna Blume.
(2) Mit dem Begriff bezeichnete das Künstlerduo Fischli/Weiss eine Reihe von Fotografien, die fragile temporäre Assemblagen zeigen (aus der Serie Stiller Nachmittag, 1984/85).
(3) Dabei spielt es keine Rolle, dass die Inszenierungen mit einer Digitalkamera fotografiert wurden und auch schon einmal zwei Aufnahmen zusammengesetzt wurden.
(4) Michel Frizot: Das fotografischen Leben der Dinge, in: Seelig, Thomas (Hg.): Im Rausch der Dinge. Vom funktionalen Objekt zum Fetisch in Fotografien des 20. Jahrhunderts, Steidl Verlag, Göttingen 2004.