Replaces – (deutsch)

von Bettina Reichmuth

 

Kerstin Flake hat ihre analoge Fotoserie „Replaces“ (2012) in Räumen aufgenommen, die als „Ateliers“ geläufig sind oder die sie, ununterscheidbar von diesen, durch ihre Arbeit erst als solche definiert. Die Frage nach diesem Ort, an dem jeder äußere Einfluss neutralisiert werden kann, ist auch eine nach dem gedanklichen Bild von einem Atelier, eng verknüpft mit der Tätigkeit des Künstlers: Einfall, Zufall, Transfer. Behauptung und Pose. Das Atelier als Referenzrahmen für den gesamten Arbeitsprozess des Künstlers.

Wenn Flake eine neutrale Ateliersituation vortäuscht, beginnt sie damit ein Fragespiel: Inwieweit ist Kunstproduktion von ihrem Kontext abhängig? Oder können Künstler einen Raum durch Kunst zum Atelier machen? Und letztlich: Wenn schon die Fotografie nicht eindeutig ist, wie dehnbar sind dann Begriffe? Ähnliches interessiert sie an den Gegenständen und Personen, die sie für Ihre Arrangements ausgewählt hat. Sie überarbeitet Hierarchien, Perspektiven und Funktionen so lange, bis alle Bestandteile ihren semiotischen Ballast loswerden und sich zu neuen Installationen zusammenfügen. In diesem analogen Abstraktionsprozess werden Tische, Stühle, Lampen, Menschen zu gleichermaßen animierten Objekten, von theatralisch bis irritierend surreal in Haltung und Bewegungsandeutung. Weitere Distanz entsteht durch die fotografische Dokumentation in Form von „Porträts“. Oder handelt es sich um Momente in einem rätselhaften Film, so scheinpräsent, wie ihn nur eine Großformatkamera wiedergeben kann? Die menschliche Figur wird von hinten, kopf- oder schwerelos vorgeführt. Schwebende Stoffkapseln, Stangen, Gestelle, zwei Beine, die quer ins Bild ragen, scheinen wie Fantasien, deren geometrische Formen auf Papier plötzlich zu Raumzeichnungen werden.

Der Galeriebesucher sieht von einer Art inneren Zuschauertribüne auf das Atelier und die temporäre Metamorphose der Kunstobjekte. Doch der Einblick „hinter die Kulissen“ gerät zum Blick auf eine Bühne – ohne Kulissen. Realität wird hier als eine sich stets neu inszenierende ausgestellt: Wie kreisende Gedanken taucht manches mehrmals auf, die Figur variiert tänzerische Posen bis zum Umfallen: eine spontane Choreografie nach eigenen Regeln, ein skurriler Drahtseilakt ohne Ende. Die Inszenierung im Galerieraum als fotografische Serie wiederum lässt eine Antwort auf die von Godard formulierte Frage erkennen: „Wie steckt man die Wirklichkeit in die Wirklichkeit?“

Bettina Reichmuth